Zu ebener Erde und im ersten Stock: Ein Hoch auf den Wiener Doppeldeckerbus!

Vor 60 Jahren begann in Wien die Ära der Doppeldeckerbusse. Obwohl die geräumigen Busse mit Oberdeck – kurz „Stockbusse“ genannt – sehr beliebt waren, wurde Wien doch nie eine Doppeldeckerstadt wie etwa London. Ihre Ära ging daher nach 30 Jahren zu Ende. Zum runden Geburtstag widmen wir dem Wiener Stockautobus ein Porträt.

Wien nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Stadt erholt sich nur langsam von den Zerstörungen des Krieges. Auch der Fuhrpark der Wiener Verkehrsbetriebe ist schwer in Mitleidenschaft gezogen. Durch den allgemeinen Mangel ist jedoch an die Anschaffung neuer Straßenbahnen und Busse nicht zu denken: Man muss reparieren, recyclen und mit den alten Fahrzeugen auskommen.

Die „autogerechte Stadt“ der 1960er Jahre: Busse ersetzen Bims

Ende der 1950er Jahre setzt auch in Wien eine Motorisierungswelle ein, der Siegeszug des Autos beginnt. Er macht auch vor dem öffentlichen Verkehr nicht Halt: So werden in Wien rund 20 Straßenbahnlinien auf Busbetrieb umgestellt.

Die zunehmende Motorisierung verursacht enorme Verkehrsprobleme, die man jedoch in Wien – im Gegensatz zu anderen Städten – noch nicht mit einem zukunftsorientierten U-Bahn-Bauprogramm lösen will. Stattdessen herrscht die Überzeugung, man könne den Verkehr flüssiger gestalten, indem Straßenbahnlinien auf Busbetrieb umgestellt werden. Punktuelle bauliche Maßnahmen wie z.B. Fußgängerunterführungen sollen an neuralgischen Punkten Abhilfe schaffen.

Beschleunigt wird die Umstellung auf Busse auch durch die Straßenbahnverordnung von 1957 (gültig ab 1.1. 1961). Sie verbietet die Verwendung von Holz bei Wagenkästen und schreibt splitterfreie Fensterscheiben vor. Fahrzeuge ohne Schienenbremsen dürfen maximal 25 km/h fahren (dies trägt auch dazu bei, dass die Ära des „Amerikaners“ in Wien zu Ende geht).

Weil außerdem ein großer Mangel an Fahrern und Schaffnern herrscht, führen die Wiener Verkehrsbetriebe nun auf vielen Strecken große Busse ein: Ab 1954 sind Großraumbusse, ab 1960 Stockbusse und ab 1963 Gelenkbusse im Einsatz.

Der Stockbus-Prototyp: geräumig, aber schwerfällig

1958 testen die Wiener Verkehrsbetriebe den zweiachsigen „Doppeldecker-Stadtbus“ des deutschen Herstellers Büssing. Die Bustype erscheint für die Wiener Verhältnisse geeignet, daher wird die Wiener Firma Gräf & Stift beauftragt, einen Doppeldecker-Autobus für Wien zu entwickeln. Der Bau des Prototyps beginnt 1959, im März 1960 wird er den Wiener Verkehrsbetrieben übergeben.

Stockbus der Linie 61 bei der Oper, Juni 1965

Der neue Bus ist ein „dicker Brummer“: Seine Abmessungen übertreffen alles, was bis dahin in Österreich als Linienbus im Einsatz war. Vor allem seine Höhe von 4.135 mm ist ein Problem: Da sie das gesetzliche Limit von 3.800 mm übersteigt, ist der Bus im Betrieb stark eingeschränkt, weil er viele Brücken und Unterführungen nicht passieren kann. Außerdem hat der Dreiachser trotz seines hohen Eigengewichts von 11.620 kg nur einen normalen Büssing-Motor mit 150 PS, was den großen Doppeldecker recht schwerfällig macht.

Dafür bietet das Fahrzeug 66 Sitzplätze: 30 im Unterdeck und 36 im Oberdeck, das entspricht ungefähr einem Drei-Wagen-Zug der Straßenbahn! Zusätzlich sind im Unterdeck 39 Stehplätze zugelassen.

Kinder, die kleiner waren als 1,50 Meter brauchten eine Halbpreis-Fahrschein.

Ab 1961: Einsatz auf der Linie 13

Ab 21. April 1960 ist der erste Stockautobus auf der Linie 4 (Westbahnhof – Stephansplatz – Praterstern) im Einsatz. Wesentlich mehr Aufmerksamkeit erregt jedoch die Umstellung der Straßenbahnlinie 13 auf den neuen Autobus: Am Abend des 1. Juli 1961 feiern Tausende WienerInnen den Abschied von der Straßenbahn und begrüßen den neuen Bus.

Stockbus der Linie 13 bei der Kreuzung Neubaugasse, Mariahilfer Straße, Amerlingstraße. März 1963

Im Laufe der Jahre sind die Stockbusse auf diesen Linien im Einsatz: 4, 7A, 13, 13A, 14A, 15A, 34A, 35A, 39A (nach Zusammenlegung mit der Linie 12 in 35A umbenannt), 48A (fallweise), 59A, 61, 61A. Stockbusse der ersten Generation fahren zeitweilig auch auf den Linien 66A (Verstärker bis Wienerfeld, zu Allerheiligen bis zum Friedhof Inzersdorf) und 67A (heute Linie 17A), wo morgens ein Schülerkurs zwischen Wienerfeld und Rothneusiedl mit einem Doppeldecker gefahren wird.

Zu viel Auf und ab, zu wenig PS

In der Praxis ist es den meisten Fahrgästen jedoch zu mühsam, das Oberdeck zu erklimmen – insbesondere Fahrgäste, die nur eine kurze Strecke fahren, wollen sich nicht dem Stress des rechtzeitigen „Abstiegs“ aussetzen. Lieber bleibt man dichtgedrängt im Unterdeck und in Sichtweite des Ausstieges stehen. Nur Kinder und Jugendliche benützen gerne das Obergeschoß und genießen die Aussicht.

Auch für die Busse selbst ist das Auf und Ab in Wien beschwerlich. Die erste Generation der Stockbusse hat zu wenig PS, um die hügelige Wiener Topographie gut zu bewältigen. Das zeigt sich besonders entlang der Strecke des 13A. Daher wird die erste Serie der Stockautobusse nach nur 20 Jahren aus dem Betrieb genommen. Am 27. Juni 1980 ist der letzte Einsatz im Linienbetrieb auf der Linie 61A.

Next Generation: schaffnerlos, Flüssiggas

Mitte der 1970er Jahre produziert Gräf & Stift eine zweite Stockbus-Generation (DDH 200), die wesentliche technische Verbesserungen aufweist. Die neuen Busse werden mit Flüssiggas betrieben und fahren schaffnerlos im Ein-Mann-Betrieb. Allerdings ist auch ihnen keine lange Einsatzdauer beschieden: Der letzte Stockbus der Wiener Linien verkehrt am 28. Juni 1991 auf der Linie 67A (Reumannplatz U – Inzersdorf, Großmarkt).

„Endstation“ Verkehrsmuseum Remise

Von den Stockbussen der ersten Generation ist der Wagen 8229 museal erhalten geblieben. Er steht im Verkehrsmuseum der Wiener Linien und freut sich auf Ihren Besuch!

Remise – Verkehrsmuseum der Wiener Linien
Ludwig Koeßler Platz, 1030 Wien
www.remise.wien

Das Verkehrsmuseum ist übrigens auch virtuell erlebbar: www.wienerlinien.at/remise360

Stockbus 8229, technische Daten:

Typenbezeichnung: DD – 2FU
Lieferfirma: Gräf & Stift
Baujahr: 1961
Angemeldet: 27. Juni 1961
Pol. Kennzeichen:  W74.829
Betriebsnummer ab 1974: 8229
Abgemeldet: 22. Mai 1978

Länge: 11.500 mm / Breite: 2.500 mm / Höhe: 4.200 mm
Bereifung: 11.00 – 20 / Radstand: 5.200 + 1.354 mm / Eigengewicht: 11.590 kg
Achsdruck vorne: 6.100 kg / Achsdruck hinten: 6.500 kg
Spurweite vorne: 2.060 mm / Spurweite hinten: 1.730 + 2.050 mm
Sitzplätze: 24 unten, 36 oben / Stehplätze: 43 nur unten
Motortype: Saurer 2FU-1072 / 160 PS / 6 Zylinder / 4 Takt
Hubraum: 9.500 ccm / Hub: 140 mm / Bohrung: 120 mm
Maximale Drehzahl: 2.000 U/min / Getriebe: Diwabus 200S
Verbrauch/100km: ca.35 Liter / Tankinhalt: 230 Liter
Höchstgeschwindigkeit: 62 km/h

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Kommentare (5)

  • Lustig waren die Rückspiegel, quasi via Periskop vom Fahrerplatz, durch das Zwischendeck per Glasscheibe und Spiegel an der Decke im Obergeschoß nach hinten. Außer ich saß in der ersten Reihe oben links und hatte die Füße am Glas; -) Dann hat er geschimpft, der Fahrer.

  • Hallo, Im Bericht dürfte ein gewaltiger Fehler passiert sein Es wird behauptet Kinder unter 1,50 Meter benötigen keinen Fahrschein. Das stimmt nicht. Sondern Kinder benötigten einen Kinderfahrschein. War man größer als 1,50 Meter musste man das Alter mit einem Ausweis nachweisen. Der Kinderfahrschein galt bis 15 Jahre.

  • Kinder, die kleiner als 1,50m waren mussten auch einen Fahrschein haben. Einen Kinderfahrschein. Hat glaub ich 50 Groschen gekostet. Ich glaube, bis zum Alter von 6 Jahren konnte man gratis fragen