Linie 49 in der Station Burggasse Stadthalle

Sagenhaft – Spaziergang durchs Nibelungenviertel

Das Grätzel rund um die Wiener Stadthalle 
ist unerwartet belebt – und steckt voller überraschender Geschichten.

Wer Walküren, Kriemhild und Giselher schätzt, muss weder passionierter Opernbesucher noch Wagnerfan sein. Es genügt, in Neu-Fünfhaus im sogenannten Nibelungenviertel im 15. Wiener Gemeindebezirk spazieren zu gehen. Das Gebiet, das den Namen Nibelungenviertel nur inoffiziell trägt, liegt zwischen der grünen Oase der Schmelz-Kleingärten und dem Veranstaltungs-Hotspot Stadthalle, begrenzt von der Gablenzgasse im Norden und der Hütteldorfer Straße im Süden. Im Zentrum des mittelalterlich apostrophierten Grätzels liegen der Kriemhildplatz mit seinem Pappelhain und die Baumallee der Markgraf-Rüdiger-Straße.

Entstanden ist das attraktive Wohngebiet, als ein Teil des damals bestehenden Exerzier- und Paradeplatzes Schmelz im Jahre 1911 zur Bebauung freigegeben wurde. Die Straßenzüge erhielten damals die Namen der Protagonisten des Nibelungenliedes, des mittelalterlichen Helden­epos um Siegfried, den Drachentöter. Im südlichen Teil ­sollte ein Kaiser-Franz-Joseph-Stadtmuseum ent­stehen. Dieses Projekt wurde nie realisiert. An seiner Stelle entstand 1953 im wieder­erstarkten Österreich die Wiener Stadthalle.

Architektur und Geschichte

Von der großen Veranstaltungsarena aus kann man das Nibelungenviertel auch am besten entdecken. Nach einer dalmatinischen Stärkung im „Café Providenca“ von Miroslav Piplica, dem ehemaligen Kickbox-Weltmeisters und Vertreter der österreichischen Kroaten, kann man in der Christkönigskirche am Kriemhildplatz einen Spaziergang in die Zwischenkriegszeit unternehmen. Errichtet nach Plänen von Clemens Holzmeister, ist dies nämlich auch die Gedächtnis­kirche für die Bundeskanzler Ignaz Seipel und Engelbert Dollfuß. Ein Denkmal mit dem Hinweis auf die „Erneuerer des österreichischen ­Vaterlandes“ ist an der Fassade angebracht. Umgeben ist der überaus modern wirkende Kirchenbau von einer großzügigen Grünfläche mit hohen Pappeln.

Durch die Markgraf-Rüdiger-Allee geht es weiter zu den damals errichteten prächtigen Gemeindebauten. Etwa die „romantische“ Wohnhausanlage Forstner-Hof in der Alliogasse 27–33, in deren grünem Innenhof ein berühmter Steinbrunnen von Anton Endstorfer steht. Der Ebert-Hof in der Hütteldorfer Straße 16–22 vereint die typischen Merkmale der frühen Gemeindebauten mit Elementen der späteren „Superblocks“ wie etwa des Karl-Marx-Hofs. Er besitzt neben seiner monumentalen Portalanlage eine Reihe interessanter architektonischer Details wie Rundbogenarkaden, polygonale Erker und kunstvoll geschmiedete Fenstergitter.

Fragt man die Bewohner nach dem Namensgeber Ebert, so erhält man meist keine oder entschuldigende Antworten. „Da müsste ich im Internet nachschauen“, erklärte ein seit 26 Jahren in der Anlage lebender Pole. Ein junges Paar, das kürzlich hier eingezogen ist, meinte entschuldigend: „Darum haben wir uns eigentlich noch nicht gekümmert.“ Der Autor der Geschichte schlug vor, die nächste Ausgabe von „Wien MOBIL“ zu lesen: Die Wohnhausanlage wurde nämlich nach dem sozialdemokratischen Parteiführer Friedrich Ebert benannt. Der gelernte Sattler aus Heidelberg war sehr früh politisch und gewerkschaftlich aktiv. 1913 wurde er Parteivorsitzender der SPD und später erster Präsident der Weimarer Republik. Die Gemeindebauten entstanden wie der Johann-Witzmann-Hof in den 20er Jahren. Der Grassinger-Hof, benannt nach dem 1932 verstorbenen Bezirkschef Johann Grassinger, entstand erst in den 30er Jahren. Die Erklärung für den Bauboom im Nibelungenviertel: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Sozialdemokratie bestimmende Kraft im Wiener Rathaus. 1922 wurde Wien ein selbstständiges Bundesland. Damit war auch der Grundstein für das „Rote Wien“ gelegt.

Viele Menschen nutzen die Ruhe im Märzpark zum Relaxen mitten in der Stadt.

Wiener Kulinarik und Bio-Food

Nach so vielen historischen Erkundigungen hat man sich ein bodenständiges Mittagsmahl verdient. Dazu lädt seit über 60 Jahren das „Restaurant Mader“ in der Markgraf-Rüdiger-Straße ein: Geführt wird das Lokal von Frau Fasching, der Enkelin des Betriebsgründers, und ihrem Ehemann. Schweinsmedaillons im Speckmantel, Bärlauch-Schnitzel oder Kalbsbeuschel gehören hier zum Standard. Ein paar Häuser weiter gelangt man auf die Stutterheimstraße unterhalb der Kleingartenanlage „Auf der Schmelz“ mit dem kulturellen und gastronomischen Kleinod „Schutzhaus Zukunft“. Berühmt geworden ist in der Stutterheimstraße auch der neue Betrieb „BioFrische“. Hier wird gesundes Bio-Essen mit indischem Einschlag produziert und in ganz Wien an Betriebe und private Abnehmer geliefert. Der Rückweg durch die Schweglerstraße und die Hütteldorfer Straße ist geprägt von vielen Geschäften, in denen man alles kaufen kann.

Das Restaurant Mader bietet Defitges.

Wem eine Einkaufstour aber zu anstrengend ist, der kann ja im Nibelungenviertel in der Hütteldorfer Straße in den „1-Euro-Discont“ zu Schamel Natanow gehen. Der 1972 aus Israel zugewanderte gebürtige Russe bietet in seinem Geschäft nämlich alles auf einem Fleck an. Ob Bohrer für die Bohrmaschine oder Knöpfe für die Regenjacke gebraucht werden, ob nach einer Fernsehleuchte, einem Klimagerät oder einer Umhängetasche Ausschau gehalten wird – Natanow hat einfach alles: „Ich glaube, das werden schon hunderttausend Artikel sein, die wir hier verkaufen“, weiß der rüstige Pensionist, der immer noch im Laden seines Sohnes steht, zu erzählen.

Weiter geht’s zum Vogelweidplatz 2 wo man beim „Stoffguru“ die Jungunternehmerin Julia Flamek antrifft. Die Firma hat sich auf ­bedruckte T-Shirts und Werbetaschen spezialisiert, ob für ein Geburtstagsfest, einen Polterabend, die ­sportliche Fangemeinde des Kegelvereines oder vegane Servierschürzen für ein Restaurant. Die Geschäftsfrau ist auf ihren neuen Standort besonders stolz: „Weil sich hier die Leute so zusammengehörig fühlen. Die Nachbarn kommen herein, plaudern und kaufen auch …“

Als krönenden Abschluss des Tagesausfluges durch das Nibelungenviertel kann man sich im „Kringers No. 2“ in der Hütteldorfer Straße noch ein oder zwei Biere aus dem reichhaltigen Angebot und einen kräftigen Kringers-Burger vom Team Sigrid, Konstantin, Marie und Eva auftischen lassen. Die „No. 2“ gibt übrigens nur Aufschluss darüber, dass das Lokal vor einigen Monaten neu übernommen wurde. Wer jetzt immer noch nicht genug hat, der kann ja noch im Märzpark vor der Stadthalle beim Song-Contest-Denkmal vorbeischauen, und wenn dann noch Zeit ist, kann man ja immer noch einen Hupfer in die Lugner-City machen und in der Karaoke-Bar des Restaurants „Mai Kai“ in der Gablenzgasse seine Stimme verlieren.

Text: Gerhard Krause
Bilder: Stefan Diesner 
Diese Geschichte finden Sie auch im Wien Mobil.
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Kommentare (1)

  • Sehr geehrter Herr Krause!
    Vielen Dank für Ihren gelungenen und kurzweiligen Bericht! Hat mir gut gefallen.
    Nun sind bald 5 Jahre vergangen und es hat sich einiges geändert. Manch Alteingesessenes scheint zu verschwinden und Neues entsteht.
    Gerne bin ich bereit die wesentlichen Dinge darzustellen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Guntbert (aus der Nibelungensage)