Es gehört zu den Ungerechtigkeiten des Alltages, dass den Menschen jene Dinge, die sie täglich ganz selbstverständlich nutzen, erst bewusst werden, wenn sie einmal nicht funktionieren. Wasser- und Energieversorgung etwa. Müllabfuhr und Kanalisation. Oder der öffentliche Nahverkehr: Je besser verwaltet eine Stadt ist, umso weniger spürt man Arbeit, Einsatz und Man- und Womanpower hinter alldem. Und umso weniger Dank oder Anerkennung können diejenigen erwarten, die diese Systeme am Laufen halten.
Anton Walzer weiß: Das ist eben so. Aber würde jemand fragen, was der 58-jährige Nachrichtentechnik-Experte der Wiener Linien tut, wenn er in einer U-Bahn-Station eine der – auch beim tausendfachen Vorbeigehen nie bemerkten – Türen öffnet und dahinter verschwindet, würde sich Walzer freuen: „Ich sorge dafür, dass Ihr Handy hier unten funktioniert“, wäre seine Antwort. Mit dem Nachsatz: „Und dafür, dass Sie in der U-Bahn auch surfen, Videos sehen oder Musik streamen können. Wir rüsten gerade auf – weil es für uns alle heute wichtig ist, überall – auch im U-Bahn Netz – in LTE-Qualität online zu sein.“
Nur: Keiner fragt. Eben weil schnelle und sichere Handy- und Datenübertragung in der U-Bahn heute selbstverständlich sind. So sehr, dass viele Fahrgäste nicht Walzer, sondern nur ihre Displays sehen.
„Echte“ Handys brauchen ein Netz im Netz
Das war nicht immer so. Handytelefonie funktioniert in der Wiener U-Bahn erst seit den 90er Jahren. Davor hatten aber auch nur ein paar wenige Menschen Mobiltelefone: Große, schwere „Knochen“, mit denen man lediglich telefonieren konnte. Von Surfen, Facebook oder Youtube war noch keine Rede – weder mobil noch am Standcomputer daheim. Aber auch die Telefonate endeten meist auf der Rolltreppe: Mobilfunk im Tunnel? Das war Science Fiction. Doch mit dem Aufkommen der ersten „echten“ Handys und dem UMTS-Netz (2G) leisteten die Wiener Linien europäische Pionier-Arbeit – und begannen, das Netz im Netz auszubauen. Das war nicht ganz unumstritten: Es gab heftige Debatten, ob es wirklich nötig sei, auch in der U-Bahn erreichbar zu sein
Heute ist das kein Thema mehr. Weil jeder ein Handy hat – und es kaum je aus der Hand legt. Und das Erreichbarsein niemand mehr in Frage stellt. Eine viel zentralere Frage zum Thema „Mobilfunk im Tunnel“ wurde in den 90er-Jahren aber gar nicht gestellt. Und auch 2002 nicht, als GSM (2G) durch UMTS (3G) ersetzt wurde: Wie funktionieren Telefonie und mobile Datenübertragung in der U-Bahn eigentlich? Und wie schaffen es Mobilfunk- und Öffinetzbetreiber, dass immer mehr Menschen immer größere Datenmengen immer schneller, immer selbstverständlicher und generell immer übermitteln können?
Netzbetreiber ziehen an einem Strang
2G, das Handynetz des vorigen Jahrtausends, wirkt heute ja fast so „retro“ wie das „Joghurtbecher-Telefon“ aus dem Kindergarten: Die 2G-Datenmengen über GPRS waren vergleichsweise minimal und sehr langsam. Heute ist mobiles Breitband – also „LTE“ (Long Term Evolution) oder 4G – „state of the art“. Laienhaft ausgedrückt garantiert 4G ruckelfreies HD-Filmschauen auch dann, wenn der ganze, volle U-Bahn-Waggon gleichzeitig online ist.
Damit das funktioniert, sind eine Menge Infrastruktur, Technik und Know How notwendig, erklärt Martin Aichhorn. Aichhorn ist bei T-Mobile unter anderem für die Planung und Umsetzung der LTE-Offensive im Wiener U-Bahnbereich verantwortlich. Deshalb ist er derzeit oft mit Anton Walzer und den Teams der Wiener Linien in den Gängen zwischen den U-Bahnschächten zu finden.
Doch nicht nur T-Mobile-Mann Aichhorn lernt derzeit die geheimen Gänge und Bereiche des Wiener Untergrundes gut und genau kennen: Wenn es um mobile Kommunikation in der U-Bahn geht, stehen alle Mobilfunker – also A1, T-Mobile und Drei – mit den Wiener Linien Schulter an Schulter und arbeiten gemeinsam an einem Ziel: Der bestmöglichen Qualität der Datenübertragung. Weil das im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten liegt – und vor allem: im Interesse der Fahrgäste.
Schnelles Internet im Vorbeifahren – Die „Röhre in der Röhre“
Darum wird derzeit gemeinsam auf- und umgerüstet. Eben auf LTE-Standard. Dafür werden in eigenen „Mobilfunkräumen“ gerade neue „Koppelboxen“ aufgestellt. Oder mit neuer, LTE-tauglicher Technik bestückt. In jeder unterirdischen Station – das sind 74 – gibt es solche Bereiche. Und in jedem „Mobilfunkraum stellt jeder Betreiber (mindestens) eine „Koppelbox“ auf. Die hängt am Netz des jeweiligen Providers und wird mit der gemeinsamen Datenleitung im U-Bahn-Schacht verbunden. Das klingt einfach – ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil.
Grob vereinfacht gesagt sind Koppelboxen Schränke voll High-Tech, mit denen Funksignale von den Frequenzen aller Netzanbieter gebündelt „in eine Röhre in der Röhre“ geschickt werden: In den 90er Jahren stellte man bei den Stationen noch Antennenmaste in die Tunnel und hoffte, dass das Handysignal unterwegs nicht „verloren“ gehen würde. Heute fährt die U-Bahn die Antenne ab: Sie ist ein insgesamt rund 200 Kilometer langes High-Tech-Kabel, das im Schacht die Wand entlang läuft – ein knackwurstdicker Hohlleiter (quasi ein Schlauch) der aus zwei Kupferleitern besteht und von einer Kunststoffhaut geschützt ist.
Damit die Datenpakete von der Wand zum Handy (und zurück) finden, hat die äußere Metallschicht kleine Schlitze, erklärt T-Mobile-Techniker Aichhorn, während rings um ihn geschraubt und montiert wird. „Wichtig“, ergänzt Wiener-Linien-Nachrichtentechniker Walzer, „ist auch, dass die Antenne nirgendwo mit Metall in Berührung kommt. Das wäre ein Kurzschluss: Die Qualität der Verbindungen steht und fällt mit der Sorgfalt, die wir beim Verlegen und Warten walten lassen.“
LTE im ganzen Netz ab 2018
Die Tunnelantenne ist schon länger in Betrieb. Sie ist, versichern Walzer und Aichhorn, „100 Prozent fit für LTE“. Die Hauptarbeit macht der Tausch der Koppelboxen in den Stationen. „Wir werden damit heuer noch fertig“, versichern die Techniker, „obwohl wir nur spätabends und Nachts arbeiten können.“ Wieso eigentlich? Ganz einfach: Wegen der Fahrgäste – und dem, was für sie selbstverständlich ist. Denn um die Boxen zu tauschen müssen die alten Boxen ausgebaut werden. Dabei sind regionale Netzabschaltungen oder -einschränkungen unvermeidlich.
Doch damit rechnet heute kein Netz-Benutzer. Egal ob im Öffi- oder im Handy-Netz gelten Perfektion, Tempo und Verlässlichkeit eben als selbstverständlich. Und auch wenn es unfair ist, dass das nur auffällt, wenn es einmal nicht so ist: Martin Aichhorn und Anton Walzer sind darauf ziemlich stolz.
Text und Fotos von Thomas Rottenberg