Text von Thomas Rottenberg
Autonomes Fahren: das Zukunftsthema schlechthin ist in aller Munde. In Wirklichkeit hat die Zukunft längst begonnen - nur merkt das kaum jemand, wenn man sich in der U-Bahn in die Zeitung oder das Smartphone vertieft. Etwa wenn dort - besorgt - über selbstfahrende U-Bahnen und Busse berichtet wird. Kann das funktionieren? Ist das sicher? Was bedeutet das für Fahrgäste? Und was passiert mit den MitarbeiterInnen, die heute in Fahrerkabinen arbeiten?
Dabei wird eines gern übersehen: Wiens U-Bahn fährt - laienhaft ausgedrückt - seit 40 Jahren semi-autonom. Denn nachdem der Fahrer oder die Fahrerin den Zug abgefertigt hat, wird ein Knopf gedrückt und der Zug fährt los. Kontrolliert, gesteuert, beschleunigt und gebremst von einem hochkomplexen System, dessen Fäden - pardon Leitungen - in der Leitstelle zusammenlaufen. Dort wird berechnet, wie schnell oder langsam Züge fahren können, sollen und dürfen. Und genau so fährt er dann auch. Weil der Mann oder die Frau vorne im Zug gar keine Chance hat, zu sehen oder zu wissen, wie und wo die anderen Züge im Netz gerade fahren.
Was die U-Bahn und der Aufzug gemeinsam haben
Kein Wunder also, dass überall auf der Welt, wo neue U-Bahnen gebaut werden, auch über neue Systeme und Aufgaben für die Menschen im Cockpit nachgedacht wird. Auch in Wien. Wenn im Zuge der U5-Bauarbeiten die jetzige U2-Stammstrecke zwischen Karlsplatz und Rathaus umgebaut wird, legen die Wiener Linien den Grundstein für die Vollautomatisierung der Wiener U-Bahn-Welt.
Für die Fahrgäste am offensichtlichsten: Entlang der Bahnsteigkanten werden Wände mit Türen errichtet. Züge werden so halten, dass Waggon- und Bahnsteigtüren exakt zusammen passen. Autonom, also fahrerlos. „Es ist wie bei einem Aufzug. Da stand vor 50 Jahren auch einer drin, der fragte, in welchen Stock man wolle. Heute geht das automatisch. Mit einer Tür im Aufzug und einer draußen“, sagt Nikolaus Panzera. Nachsatz: „Und niemand ist deshalb besorgt.“
Nikolaus Panzera auch nicht. Er leitet bei den Wiener Linien das Projekt „Autonom fahrende U-Bahn“. Er versteht die Bedenken und Ängste vieler Menschen. „Man muss alle Fragen ernst nehmen und darf sie auf keinen Fall abtun.“ Stattdessen erklärt es Panzera so, dass auch Laien verstehen und staunend erkennen, wie sehr sie sich schon heute auf die Technik verlassen. Gerade im Öffi-Verkehr. Jeder Mensch wird irgendwann müde, unkonzentriert oder lässt sich ablenken. Speziell dann, wenn er einen Job macht, bei dem es immer wieder zu sehr ähnlichen Handlungen kommt. Oder wenn dieser Mensch Maschinen überwacht, also etwa im Fahrerstand einer U-Bahn.
Technik und Mensch
Eine der Hauptfehlerquellen zu reduzieren und Menschen stattdessen Aufgaben zu geben, die keine Maschine ausführen kann, leuchtet ein. Schon jetzt sind U-Bahn-Sicherheitssysteme so ausgelegt, dass jeder Zug anhält, sobald für das System etwas nicht passt. „Das kennt jeder. Die U-Bahn bleibt im Tunnel kurz stehen, und fährt gleich darauf weiter. Meist war das dann eine minimale Geschwindigkeitsüberschreitung oder der Vorderzug verhindert die Weiterfahrt. Das System ist streng und restriktiv“, erklärt Panzera.
Mit der vollautomatischen U5 wollen wir ab 2024 einen entscheidenden Schritt weiter gehen. „Fahrerlos heißt auf keinen Fall menschenlos“, betont Panzera. Erstens, weil in der Leitstelle nach wie vor Menschen die Zugbewegungen genau im Blick haben. Zweitens aber, weil in den Stationen und auf der Strecke selbstverständlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv, sicht- und ansprechbar sein werden. Vermutlich sogar mehr als bisher, weil die Routinearbeit Maschinen machen. Für technische Entwicklung, Wartung und im Servicebereich für Fahrgäste entstehen neue Aufgabenfelder für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Was uns diese Automatisierung konkret bringt? „Wir können schneller reagieren. Kurzfristig bei Bedarf mehr Züge auf die Strecken bringen und damit das Intervall verdichten. Wir müssen auf Stehpausen oder Nachtdienstzeiten der MitarbeiterInnen weniger Bedacht nehmen, weil ein Zug nicht müde, ein Computer nicht unkonzentriert wird. Und wir können jene Leute, die im Dienst sind, flexibler einsetzen, wenn es Störungen gibt.“
Autonom fahrende Zukunft auf vier Rädern
In Zukunft könnten auch autonom fahrende Buslinien in Wien unterwegs sein. Bereits im Herbst 2018 wird im Rahmen eines Forschungsprojekts der erste autonom fahrende Bus in der Seestadt seine Testrunden drehen. Ab Frühjahr 2019 können dann auch Fahrgäste einsteigen: Zwei Busse werden dann selbstständig bis Juni 2020 in der Seestadt unterwegs sein – mit allerhöchstens 20 km/h und immer einem „Operator“ an Bord, der in Österreich derzeit gesetzlich vorgeschrieben ist.
Danach, erklärt Projektleiter Johannes Liebermann, werden die Ergebnisse und Erkenntnisse ausgewertet – für Folgeprojekte und die Nutzung im Linienverkehr. Die technologische Entwicklung auf diesem Gebiet passiert rasend schnell. Wir wollen hier von Anfang an mit an Bord sein. Vorstellbar ist zum Beispiel, dass autonome Busse künftig wertvolle Zubringerdienste zu Straßenbanen und U-Bahnen am Stadtrand leisten können. Trotz all der technischen Entwicklung wird es vermutlich aber noch Jahrzehnte dauern, bis wirklich ein flächendeckender, regulärer Linienbetrieb mit autonomen Bussen Alltag sein kann.
Einen „unbemannten“ Bus in den Verkehr zu schicken, ist verkehrstechnisch nämlich komplexer, als eine U-Bahn „allein“ fahren zu lassen: Im Tunnel kommt ihr in der Regel niemand in die Quere. Auf der Straße ist das anders. Der „Trick“ besteht darin, den Bus auf eine Art „digitale Schiene“ zu stellen, die seine Sensoren genau kennen. Sobald da irgendetwas nicht passt, reagiert die Sicherheitstechnik genauso wie die der U-Bahn: Das Fahrzeug hält an und fährt erst weiter, wenn die „Gefahr“ beseitigt ist. Oder der „Operator“ an Bord sagt, dass alles passt: Etwa weil der Bus keine Ahnung von Frühling und Blumen hat.
Wenn Gänseblümchen zum Hindernis werden
Denn bei den ersten Probefahrten im April 2018 rund um die WU im Prater spielte der Frühling den Entwicklern einen Streich, lacht Projektleiter Liebermann: „Als wir die Strecke kartographierten, war es Mitte März und noch ziemlich kalt. Zwei Wochen später war das anders. Und die Busse hielten immer an genau der gleichen Stelle.“ Es dauerte ein bisschen, bis die Menschen an Bord erkannten, welches „Hindernis“ schuld war: Aus einer Spalte im Straßenbelag hatten ein paar Gänseblümchen ihre Häupter erhoben – und die Sensoren der Busse schlugen an.
Darüber kann man lachen - oder aber die Botschaft verstehen: Vor der Zukunft braucht man sich nicht zu fürchten. Sie ist achtsam und würde nicht einmal ein Gänseblümchen in Gefahr bringen, geschweige denn Menschen.
Den 40-minütigen Podcast zum Thema "Autonomes Fahren" finden Sie hier.